„Willkommen im Jahrzehnt der Entscheidung!“ Dr. Udo Engelhardt ließ keinen Zweifel daran, was für die Menschen auf dem Planeten Erde aktuell auf dem Spiel steht. Die heute sichtbaren Auswirkungen des Klimawandels (Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen) und wissenschaftliche Indikatoren (globaler Temperaturanstieg, veränderte Luft- und Meeresströmungen) verdichten sich zu einem beunruhigenden Bild. „Die Zeit läuft uns davon. Wir müssen die Scheuklappen ablegen und ins Handeln kommen“, lauteten Engelhardts zentrale Botschaften.
Was auf die Stromnetze zukommt – Digitalisierung der Netze
Wie groß die Aufgabe für die Akteure der Energiewirtschaft ist, machte Dr. Nils Neusel-Lange, Geschäftsführer der Bielefelder Netz, klar. Die forcierte Dezentralisierung der Stromerzeugung und die Fahrt aufnehmende Sektorenkopplung setzten das Stromnetz unter Stress. Bis 2045, wenn Bielefeld klimaneutral sein will, gilt es dort PV-Anlagen mit 390 MW Anschlussleistung, rund 100.000 Elektromobile und ca. 25.000 Wärmepumpen ins örtliche Netz zu integrieren. Das Stromnetz der Zukunft sei keine Kupferplatte mehr, sondern digital, steuerbar und intelligent, so Neusel-Lange. Der Netzaus- und -umbau erfordere viele Ressourcen und einen breit angelegten Lösungsansatz.
Wärmewende in Münster – individuelle Planung je Kommune notwendig
Alexandra Rösing, Geschäftsführerin der Stadtnetze Münster, beleuchtete die Wär-meseite der Energiewende. Dabei spielt Fernwärme eine wesentliche Rolle. Verdich-tung, Aus- und Neubau des Wärmenetzes orientieren sich an Wärmesenken und erneuerbarem Wärmeangebot. Die andere große Säule bilden Wärmepumpen, die wie-derum auf die Belastung der Stromnetze einzahlen. Die Wärmewende erfordert somit eine integrierte Netzplanung. Wasserstoff wäre in Münster auch verfügbar. Gleich zwei Leitungen des zukünftigen Wasserstoffkernnetzes tangieren das Stadtgebiet. All dies wiederum steht im Kontext der kommunalen Wärmeplanung durch die Kommune. Was die Sache nicht einfacher macht: „Es gibt keine Blaupause für die Wärmewende“, so Alexandra Rösing.
Die Daten im Griff – Massendaten geschickt händeln
Klar ist: Hier wie da ist Digitalisierung der Schlüssel zur Bewältigung der Herausforderungen. Transparenz über Energieströme und Lasten durch Messdaten aus intelligenten Messsystemen und funkbasiert ausgelesenen Wärmezählern ermöglichen eine intelligente Steuerung. Für das Datenmanagement werden Lösungen benötigt wie die Netzbetriebsplattform IoTHub4Utilities von Robotron, seit kurzem neuer Software-Partner für Smart-Meter-Gateway-Administrations und aEMT-Prozesse von smartOPTIMO. Dr. Christian Hofmann, Director of Metering Solutions bei der Robot-ron Datenbank Software, stellte diese im Rahmen seiner Ausführungen über Infrastrukturlösungen für digitale Netze vor.
Hemmschuh Regulatorik – Innovativ nach vorne schauen
„Welche Bausteine benötigen MSB und VNB für das Gelingen der Energiewende in der Niederspannung?“, fragten Alexander Sommer, Bereichsleiter Innovation & Digi-tale Netze bei der items, und Markus Strenge, Leiter der Service-Einheit IT bei smartOPTIMO, in ihrem interaktivem Vortrag. Zentrale Aussagen u. a.: Für ein vollautomatisiertes Verteilnetz wird ein zentrales Steuerungssystem auf Basis eines Data Lake bzw. Digital Twin benötigt. IT und IoT verschmelzen. Bremsklotz bei der Transformation: Die Regulatorik bestimmt in erster Linie das Handeln der Netzbetreiber – wie auch die Live-Umfrage bestätigte.
Neue KNA ist auf dem Weg – Marktteilnehmer werden gehört
Geertje Stolzenburg, Fachgebietsleiterin Energiewirtschaftsrecht beim BDEW, hat klargestellt, dass wir mit dem MsbG endlich die lang geforderten rechtlichen Rahmenbedingungen haben und damit die Investitionssicherheit für den Rollout der intelligenten Messsysteme. Die Digitalisierung der Energiewende kann somit voranschreiten. Im Ausblick zeigte sie auf, was noch fehlte, u. a. die Detaillierung des §14a EnWG und die Ergebnisse der Kosten-Nutzen-Analyse (KNA) nach § 48 MsbG. Bis Ende Juni 2024 sollen die Ergebnisse vorliegen.
Smart Metering in Österreich – Über den Tellerrand schauen
Wie gehen andere Länder den Rollout intelligenter Messsysteme an? Peter Deschkan, Hauptabteilungsleiter Metering Management und Zählerwesen bei Wiener Netze, beschrieb das Vorgehen seines Unternehmens exemplarisch für den österreichischen Energiemarkt. In der Alpenrepublik wird 2024 schon der Voll-Rollout erreicht sein. Mit einfachem Ansatz gestartet. Allerdings arbeitet man dort ohne Smart Meter Gate-ways. Die Intelligenz der Geräte liegt im Backend. Das Thema Schalten und Steuern wird für die Zukunft noch weiterentwickelt.
Weitere Vorträge: Dirk Gollnick, Head of Account Management DACH bei Amazon Web Services, berichtete über das Thema Kundenzentrierung bei Amazon und was die Energiewirtschaft davon lernen kann. Ulrich Meyer, Geschäftsführer der enytime green, sprach über dynamische Tarife und die Frage, ob dies ein Geschäftsmodell für Stadtwerke sei?
„Wir müssen ins Tun kommen!“
Ulrich Meyer war es auch, der bei der abschließenden Podiumsdiskussion („Good News Panel“) noch einmal einen flammenden Appell formulierte: „Wir kennen die Lösung und wissen, was zu tun ist. Worauf warten wir noch? Wir müssen ins Tun kommen! Wenn wir die Energiewende schaffen wollen, dann müssen wir Veränderungen schneller und konsequenter hinbekommen.“
Bangemachen gilt nicht
Fazit: Das Forum Netz & Vertrieb war einmal mehr eine inspirierende Veranstaltung, die genau das Themenspektrum abdeckte, das die Gesellschaft und die Branche heute bewegt. Aus Expertenmund live geschildert zu bekommen, wie schnell der Klimawandel voranschreitet und welche Folgen absehbar sind, machte nachdenklich und besorgt – und war für Teilnehmende vielleicht ein Impuls bei der Energiewende im Unternehmen und persönlich noch eine Schippe draufzulegen. Was in Münster auch klar wurde, ist die Dimension der Aufgabe für die Energiewirtschaft. Es wird immense Investitionen und Anstrengungen erfordern, um die Infrastruktur umzubauen und die Energieversorgung klimaneutral zu gestalten. Doch Bangemachen gilt nicht. Dr. Fritz Wengeler: „Wir wollen und werden die Dinge nach vorn treiben.“