„Stadtwerke sind für viele Kommunen ein Fels in der Brandung“ - Interview mit Sebastian Jurczyk, Stadtwerke Münster

Stadtwerke erweisen sich in der Corona-Krise als Bastion der Stärke, weil sie nicht nur zuverlässig Energie und Trinkwasser zur Verfügung stellen, sondern ihre Kommunen auch als beständige Dividendenlieferanten stützen. Vor welchen Herausforderungen stehen kommunale Versorger konkret, und wie werden die Aufgaben bewältigt? Sebastian Jurczyk, Vorsitzender der Geschäftsführung der Stadtwerke Münster GmbH, gewährt Einblick in die Strategie eines Versorgungsunternehmens und gibt damit einen Ausblick auf seinen Vortrag im November beim Netz- und Vertriebsforum der smartOPTIMO GmbH & Co. KG.

Freundlicher Mitarbeiter am Schreibtisch

?: Energiewende, Digitalisierung, Covid-19: Welche Fixpunkte gibt es für Stadtwerke in diesen unsteten und von rasantem Wandel geprägten Zeiten? Wie positionieren sich die Stadtwerke Münster?

!: Stadtwerke befinden sich aktuell in einer vergleichsweise guten Position. Unser Geschäft, das früher gern als unsexy und eher bürokratisch betrachtet wurde, erweist sich in der Corona-Krise als sehr stabil. Weil wir mittels unserer Infrastrukturen etwas bereitstellen, das man gerade auch in Krisenzeiten weiterhin verlässlich braucht, nämlich Strom, Gas, Wärme, Telekommunikation usw. Darin liegt eine enorme Stärke. Deswegen glaube ich, dass viele Energieversorger wirtschaftlich mit einem blauen Auge aus dieser Krise hervorgehen werden. In der Gewissheit, dass man morgen nicht vor der Insolvenz steht, lässt sich unser Geschäft allerdings auch vergleichsweise besonnen managen. Das ist eine glückliche Ausgangslage.

„Stadtwerke stehen für gesellschaftliche Verantwortung“

?: Liegt in dieser relativen Stärke der Stadtwerke nicht auch eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung?

!: Ganz klar, das ist so! Stadtwerke stehen per se für gesellschaftliche Verantwortung. Das fordert die Politik ja auch ein, indem sie uns beispielsweise ein Zahlungsmoratorium bei säumigen Kunden auferlegt und wir aktuell auf Mahnungen und Sperrungen verzichten müssen. Das halte ich in dieser Situation für richtig. Auf der anderen Seite sind Stadtwerke für viele Kommunen ein Fels in der Brandung, wenn die Gewerbesteuereinnahmen zurückgehen. In dieser Situation ist es besonders wertvoll, dass Stadtwerke ihren Kommunen weiterhin eine stabile Dividende liefern.

?: Was ist in der aktuellen Situation wichtig bei der Unternehmensführung?

!: Wirtschaftlich betrachtet gilt: Cash is King. Jedes EVU muss auf seinen Cashflow achten, Investitionen und Budget austarieren, sodass man stabil durch das Jahr kommt. Genauso wichtig in einer solchen Krise ist ein ruhiges und besonnenes Management. Nach innen wie nach außen müssen die Kapitäne auf der Kommandobrücke das Gefühl vermitteln: Die Stadtwerke sind stabil und kriegen es hin. Technisch und wirtschaftlich werden wir unsere Aufgaben fraglos meistern. Am meisten Sorgen bereitet mir, wie unsere Mannschaft emotional durch den bevorstehenden harten Winter kommt. Alle sind schon ein bisschen angegriffen durch die erste Corona-Welle, viele haben im Sommer nicht richtig Urlaub gemacht. Deshalb haben wir zum Beispiel bewusst die Kantine offen gelassen, damit der emotionale Kitt ein Stück weit erhalten bleibt.

„Auch wir haben Herausforderungen zu bewältigen“

?: War oder ist die stabile Lage der Stadtwerke Münster in Gefahr?

!: Nein, uns geht es in einer prosperierenden Stadt wie Münster vergleichsweise gut. Aber auch wir haben selbstverständlich Herausforderungen zu bewältigen. Beispielsweise war und ist der ÖPNV-Bereich massiv betroffen. Zum Glück durften wir hier unter den Rettungsschirm schlüpfen. Wir spüren auch den sinkenden Strom- und Gasverbrauch bei unseren Geschäftskunden. Schon im März und April haben wir mit Budgeteinsparungen darauf reagiert. Zudem haben wir relativ früh eine zweite Kreditlinie dazu genommen, damit wir nie ein Cash-Problem bekommen.

?: Welchen Einfluss hat die Krise auf die Umsetzung der großen Herausforderungen in der Branche wie Energiewende und Digitalisierung?

!: Bei den Stadtwerken Münster orientieren wir uns an einer Strategie, die auf drei Säulen steht. Wer wollen wir sein –für die Stadt, für unsere Kunden und als Unternehmen? Für die Stadt lautet unser Slogan: „Wir sorgen für den Herzschlag Münsters und wir machen Münster grün“. Deshalb treiben wir die Energiewende in Münster proaktiv voran. Zum Beispiel wollen wir in zehn Jahren aus Wind und Sonne selbst so viel erneuerbare Energie produzieren, wie Münsters Haushalte verbrauchen. Bis 2029 sollen alle Busse in Münster entweder elektrisch oder mit Wasserstoff klimaneutral fahren. Und unser Heizkraftwerk im Hafen soll zukünftig zunehmend regenerative Energieträger nutzen.

„Müssen die Einfachheit der Produkte in den Vordergrund stellen“

?: Das dürfte die Kunden freuen. Was dürfen die darüber hinaus noch von den Stadtwerken Münster erwarten?

!: Unsere Botschaft an die Kunden lautet „Mit uns wird ein Haus zum Zuhause“. Wir wollen quasi der Lieblingsnachbar der Kunden sein. Dafür müssen wir die Einfachheit der Produkte stark in den Vordergrund stellen und das Portfolio bereinigen. Zweitens werden wir ein Dienstleistungsgeschäft rund um die smarte Nutzung erneuerbarer Energien aufbauen, also die Kunden beispielsweise bei Installation und Bewirtschaftung von PV-Anlagen, Energiespeichern und Infrastruktur für Elektromobilität unterstützen.

?: Deshalb drittens die Fokussierung auf die eigene Belegschaft, weil die dafür fitgemacht werden muss?

!: Ja, aber weniger in fachlicher Hinsicht, denn das Know-how dafür haben wir an Bord, sondern vor allem mit Blick auf das Zusammenwirken der einzelnen Bereiche im Unternehmen. Die Energiewende erfordert Sektorenkopplung, also auch die enge Zusammenarbeit aller Fachbereiche. Deshalb haben wir das Motto „Wir gewinnen gemeinsam“ gewählt. Wir müssen es schaffen, alle Bereiche unseres Unternehmens zu einer homogenen Einheit zusammenzuschweißen, dann wird auch die Energiewende in Münster erfolgreich funktionieren.

?: Mit items und smartOptimo haben die Stadtwerke Münster zwei ausgewiesene Digitalisierungsspezialisten als Töchter bzw. Beteiligungen unter ihrem Dach. Welche Rolle spielen diese Unternehmen im aktuellen Kontext?

!: Die Idee meiner Vorgänger, diese Unternehmen mit anderen Stadtwerken gemeinsam zu gründen, indem man zusammen Lasten verteilt und Größenvorteile nutzt, war genau richtig und sehr vorausschauend. Für alles, was wir strategisch planen, sind IT und Smart Metering für die Sektorenkopplung von höchster Relevanz. Damit sind die Bausteine smartOptimo und items wichtiger denn je.

„Jetzt schlägt die Stunde der Vertriebe“

?: Auf dem digitalen Netz- und Vertriebsforum der smartOPTIMO am 26. November werden Sie einen Vortrag zur Strategie der Stadtwerke Münster halten. Bewegt sich die Digitalisierung des Messwesens und damit verknüpfter Aufgaben in die richtige Richtung?

!: Nachdem das Thema Smart Metering bislang vor allem politisch und technisch diskutiert wurde, wünsche ich mir eine stärkere Fokussierung auf Kundenanwendungen und Kundennutzen. Es gibt sehr viele Ideen, die nun aber auch im Sinne der Kunden gedacht und umgesetzt werden müssen. Ich bin aber optimistisch, dass dies gelingt, denn der Aufbau der Infrastruktur war naturgemäß die Sache des Netzes und des darin verankerten Messwesens. Jetzt schlägt die Stunde der Vertriebe, die auf Basis digitaler Infrastrukturen für die Kunden attraktive Produkte und Services entwickeln müssen.

?: Herr Jurczyk, vielen Dank für das Gespräch! Wir sind sehr gespannt auf Ihren Vortrag beim Netz- und Vertriebsforum! Übrigens: Anmelden kann man sich dafür unter www.smartoptimo.de/nuv2020